WTF is Orange Wine?

Die mysteriöse 4. Weinfarbe

Gläser mit Wein in unterschiedlichen Orangetönen. Wein von Ivan Kosovec, Ante Sladic, Ivo Dubokovic, Roxanich
50 shades of orange - von Bernstein über Gold bis hin zu saftigen Orangetönen. Bildquelle: GRAPE FOOD

Weiß, Rosé, Rot, ok – so weit klar. Aber seit wann gibt es eine 4. Weinfarbe? Ist das neu? Kann man das trinken? Wer hat´ s erfunden? Weder die Schweizer, noch die Franzosen, sondern die Georgier – vor rund 3.000 Jahren.

 

Kein Trend und auch die Kroaten haben sich diese Art der Weinbereitung nicht ausgedacht. 

 

Die Herstellung - kurz erklärt:

 

Weißwein: Weiße Trauben mahlen, ein paar Stunden auf der Maische stehen lassen, dann pressen und von der Schale trennen, Most (Traubensaft) vergären = Weißwein.

 

Rotwein: Rote Trauben mahlen, je nach gewünschtem Stil länger oder kürzer auf der Maische (Schale, Most etc.) stehen lassen. 

Rote Farbstoffe und Gerbstoffe aus der Schale gehen auf den Saft über. Dann den Saft vergären, pressen. Fertig. Gerbstoffe, oder auch Tannin ist das, was den Mund so austrocknet.

 

Orange Wine: Weiße Trauben pressen, Traubensaft und gepresste Maische mindestens über ein paar Tage hinweg zusammen gären und stehen lassen = Orange Wine.

 

Aus der Schale gehen Tannine und Aromastoffe auf den Wein über. Auch Sauerstoff sorgt dafür, dass der Wein seine charakteristische Farbe annimmt. Die muss jedoch nicht unbedingt orange sein, das reicht von golden über Bernstein bis hin zu Brauntönen.  

 

Also, Orange Wine ist Weißwein, bei dem die Trauben wie für Rotwein auf der Schale vergoren werden, ganz grob erklärt. Und nicht, weil die Berliner Cordobar Wein für hip erklärt hat oder in London natural wine THE SHIT ist. Sondern weil Weißwein auf diese Weise länger haltbar ist. Die Erkenntnis hatten Winzer VOR. ÜBER. 3.000. JAHREN. Das weiß nur kaum jemand. 

 

 

Offene Maischegärung im Weinkeller von Ivo Duobovic, Bildquelle Ivo Dubokovic
Offene Maischegärung im Weinkeller von Ivo Dubokovic, Bildquelle Ivo Dubokovic

Weintrend für Könner

 

Ist auch nicht so einfach hergestellt, wie es klingt, wenn er gut sein soll.

Da zeigt sich, ob WinzerInnen etwas draufhaben. Spätestens bei der Herstellung in offenen Gefäßen mit viel Sauerstoffkontakt, trennt sich die Spreu vom Weizen.

 

Natürlich reift nicht jeder Orange Wein in offenen Gefäßen, in der Regel entscheidet sich der Winzer / die Winzerin jedoch bewusst für kontrollierten Sauerstoffkontakt, zum Beispiel in großen Holzfässern. 

 

Großer Vorteil: Im Gegensatz zur Fermentation von Weißwein in Edelstahltanks, möglichst ohne Sauerstoffzufuhr, müssen WinzerInnen beim oxidativen Verfahren weniger schwefeln oder filtrieren. Sauerstoff lässt Wein zwar altern und verdirbt ihn schlimmstenfalls, sorgt aber auch für komplexere Weine. Wenn WinzerInnen ihr Handwerk beherrschen.

 

Tja, aber die Frage der Fragen ist immer wieder: Wie schmeckt Orange Wine?  

 

Orange Wine hat viele Nuancen, von Gold bis Bernstein, Bildquelle: Claudia Gödke
Orange Wine hat viele Nuancen, Granny Smith gehört nicht dazu. Bildquelle: Claudia Gödke

Der Geschmack? Weder Sherry noch Granny Smith

 

Wie sieht ein Mensch aus? Wie schmeckt Wein? Jeder anders. Mancher Orange Wine mag zwar aussehen wie Sherry, von der Herstellung und somit geschmacklich hat beides allerdings nichts miteinander zu tun. Wir haben einige Weine im Sortiment und sie sind so verschieden wie du und ich.

 

Spannend ist doch, was im Mund passiert, was der Wein mit der Zunge macht. Wie funktioniert das Zusammenspiel von Alkohol, Tanninen, Zucker, Extrakt aus Schale?

Es geht darum, dass Orange Wine ganz große Paradigmen in Frage stellt. Muss Weißwein immer spritzig, jung und knackig sein, wie Granny Smith? Immer grün und das Offensichtliche im Vordergrund?  

 

Nicht falsch verstehen, wir lieben Weißwein. Aber auch dem einen oder anderen Weißwein täte etwas längere Maischestandzeit gut.

Es geht um die Ausprägung der Tannine, wie fühlt sich der Wein im Mund an? Definitiv dichter als normale Weißweine.

 

Experimentieren über Temperatur oder Zeit macht Spaß, probiert es mal. Trinkt ihn kühler oder wärmer. Lasst die geöffnete Flasche ein oder zwei Tage stehen. Wein ist nicht steril. Und Orange Wine ist näher an einem fermentierten Produkt als an Traubensaft mit Alkohol.

 

Aromen wie Wachs, Quitte, kandierte Orangenschalen, Bitterstoffe mit süßlichem Nachhall. Aromen, die uns an die Weihnachtszeit erinnern. All das kann in Orange Wine stattfinden, muss aber nicht und wir lieben diese wunderbare Vielfalt.

 

Wein für jeden Tag? Kaum, eher für mitten in der Nacht. Ein Feuerwerk. Wenn Weißwein so sein kann, was ist dann der Rest?

Krs Orange Zilavka und Moja M von Ivo Duobokovic, Bildquelle: GRAPE FOOD
Krs Orange Zilavka und Moja M von Ivo Duobokovic, Bildquelle: GRAPE FOOD

Kann das weg oder ist das geil? 

 

Als wir unseren ersten Orange Wine probiert haben, musste es natürlich gleich ganz großes Kino sein:

Roxanich Antica für ca. 30 EUR. 180 Tage Maischestandzeit in großen Holzfässern, mindestens 3 Jahre im Fass, also ziemlich extrem, selbst für dieses Genre. Jahrgang 2008! Ein stolzes Alter für einen „Weißwein“.

 

Wow, das muss was Besonderes sein, dachten wir. Ist es auch. Allerdings, nach dem ersten Schluck fanden wir ihn eher besonders seltsam.

30 EUR und dann so etwas? Gehört das so oder direkt in den Abfluss? Vielleicht ist der schlecht?

 

Wie ihr wisst, sind wir drauf hängen geblieben. Weil wir neugierig waren. Und nicht abgeschreckt. Also den nächsten probiert. Moja M von Ivo Dubokovic, auch ein Kracher.

Spontan fermentiert, wie die meisten Weine, die wir spannend finden. Also mit den natürlichen Hefen aus dem Weinberg oder Keller vergoren, ohne Zusatz von Reinzuchthefen.

 

Orange Wine polarisiert

 

Und natürlich war auch dieser Wein ganz anders, als erwartet. Weil er zwar aussieht wie Sherry, aber weder aufgespritet ist noch die speziellen Reifeprozesse von Sherry durchläuft. Also kein Sherry, sondern Weißwein, der länger auf der Maische stand, deshalb viel Hautkontakt hatte und den Ivo oxidativ ausgebaut hat. 

 

Was kann man sagen: Leider geil. Die Nase: Chanel Nr. 5! Orangen, Oregano und Nelken, am Gaumen ein Hauch von Salz. Die Atmosphäre in Ivo Dubokovics Weinkeller hat das unglaubliche Erlebnis sicher noch verstärkt. Und Pero zu der Frage gebracht: „Wenn das Weißwein ist, was ist dann der Rest?“ An Ivos Antwort erinnere ich mich nicht, aber der Rest des Abends war sehr philosophisch.

 

In unseren Wine Tastings habe ich selten erlebt, dass jemand beim ersten Schluck Orange Wine schockverliebt war. Dazu ist er zu eigen und speziell, zu unerwartet und schwer einzuordnen. Aber einige Gäste waren zumindest angefixt, so wie wir damals. 

R5 von Alen Bibich, Bildquelle: GRAPE FOOD
R5 von Alen Bibich, Bildquelle: GRAPE FOOD

Zum Glück gibt es auch einfachere Einsteigermodelle, wie den R5 von Alen Bibich. Weißwein hart an der Grenze zu Orange Wine, mit etwas längerer Maischestandszeit als bei „normalem“ Weißwein und deshalb bereits deutlich dichter als jeder frische Riesling umme Ecke.

Super, um zu testen, ob der Weg Richtung ORANGE spannend sein könnte. Aber noch nicht so extrem, wie andere Kandidaten. 

 

Naturwein, Orange Wine, Amphorenwein???

 

Ein neuer Trend ist Orange Wine nicht, höchstens ein wiederentdeckter. Aber was ist mit Naturwein oder Amphorenwein? Und was hat beides mit Orange Wine zu tun? 

Orange Wine kann in Amphoren reifen, muss aber nicht. Weißer Amphorenwein ist allerdings immer Orange Wine, weil er eine lange Maischestandszeit hat. Bereits vor rund 3.000 Jahren haben die Georgier entdeckt, dass Wein, der in Qvevris (große Amphoren) reift, länger lagerfähig ist. Ein großes Thema, für einen anderen Tag.

 

Auch Naturwein ist ein sehr großer Begriff und einen eigenen Artikel wert. WinzerInnen greifen möglichst wenig in den Herstellungsprozess ein und fügen dem Wein nur das absolut Nötigste hinzu: geringe Mengen Schwefel. 

 

Das kann gut gehen, oder völlig in die Hose – je nachdem wie viel Zeit der Winzer oder die Winzerin vorher im Weinberg verbracht hat. Den Wein im Keller einfach sich selbst zu überlassen, klingt nach einem easy Job. Funktioniert allerdings nur mit Trauben von hoher Qualität, häufig biodynamisch angebaut oder zumindest in Bioqualität. Und hier wird es wieder aufwändig. 

Orange Wine ist häufig Naturwein, denn irgendwie muss solch ein Ansatz zur generellen Einstellung des Winzers passen.

Pero meint: Simplen Weißwein technisch herstellen, kann jeder mit etwas Geld, das ist wie Malen nach Zahlen (wir reden hier nicht von herausragenden Weinen). Guter Orange Wine, Naturwein oder Amphorenwein ist etwas für die Nerds und Perfektionisten, die Picassos, Van Goghs, Hippies und Punks unter den Winzern. 

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